Alte und neue Bräuche

Bereits im September kann man sie überall in den Ladengeschäften finden: Die Halloween-Dekorationen, die Süßigkeiten, Lichterketten und Totenkopfkerzen. Und natürlich die Eimer in Kürbisform, mit denen die Kinder von Tür zu Tür gehen und den Leuten Saures androhen, sofern sie nichts Süßes bekommen.

Als ich ein Kind war, war dies anders, und noch vor wenigen Jahren, stießen Kinder auf Unverständnis, wenn sie in Deutschland am Abend vor Allerheiligen an den Haustüren klingelten und um Schokolade bettelten. So etwas kannte man in einigen Gegenden des Landes allerhöchstens zur Faschingszeit.

 

„Wir sind drei kleine Zwerge

und kommen nicht über die Berge.

Gibst du uns ne Mark,

dann sind wir wieder stark“

lautete einer der Sprüche, mit welchen die Kinder an unsere Haustüre klopften.

 

Gut, die Mark hat ausgedient. Und wahrscheinlich auch die Traditionen, an denen der Handel nicht unmittelbar verdienen kann. Halloween, der Beginn der durchlässigsten Zeiten des Jahres, wenn die Wände zwischen den Welten dünn und der Weg für geister auf die andere Seite einfacher ist, der Tag der Toten, an dem in Südamerika ganze Familien auf Friedhöfen übernachten und feiern, Kuchen und kunstvoll verzierte Süßigkeiten essen und sich der eigenen Sterblichkeit bewusst werden, dieser Tag ist der Industrie vermutlich vollkommen egal. Ein Abend, an dem die amerikanisierte Variante des keltischen Festtages die Möglichkeit bietet, Kürbisse in allen Variationen zu verkaufen, überteuerte Kostüme aus billigsten Materialien zu verschleudern und zusätzlich eine Menge Geld mit Alkoholischen Getränken auf Halloweenparties zu verdienen, wird hingegen gerne ausgerufen. Und da ergeht es Halloween wie Weihnachten und all den anderen einst tief religiös verankerten Festen, an denen man zusammenkam, seinen Glauben lebte und auf Gleichgesinnte traf: Im Grunde feiern wir auch hierbei nichts als den Konsum.

 

Nun wäre es zwar konsequent, den Trubel nicht mitzumachen, wer jedoch Kinder hat, bei dem sieht die ganze Sache gleich anders aus: Sollen sie wirklich die einzigen sein, die den Abend so feiern „müssen“, wie wir das in unserer eigenen Kindheit taten? Nämlich entweder überhaupt nicht, oder aber mit Seelenkuchen aus Hefeteig, dem Vorbereiten der Gräber verstorbener Verwandter auf den kommenden Winter und bestenfalls einem Rübengeist am Abend. So gänzlich falsch ist diese Rückbesinnung auf die Sterblichkeit in meinen Augen ja auch gar nicht. Wer sich früher zu dieser Jahreszeit als Geist verkleidete, tat dies auch, um von den wirklichen Geistern, die zwischen dem Beginn des Winters und den Rauhnächten auf der Erde ihr Unwesen trieben, nicht als Mensch erkannt zu werden. Und die Gräber der verstorbenen Verwandten und Freunde neu zu segnen und zu schmücken, ist ebenfalls eine gute Sache. Schließlich haben sie uns viele Jahre lang begleitet, waren für uns da, haben sich unsere Sorgen angehört und sollten von Zeit zu Zeit mal wieder aus dem Dunkel der Vergessenheit hervorgeholt werden.

 

Auch die Tatsache, dass es sich in dieser Zeit besonders lohnt, sich mit den Wahrsagekarten oder anderen esoterischen Hilfsmitteln zu befassen, gefällt mir. Wenn ich mir an den ersten dunklen Herbstabenden, wenn es draußen kalt, dunkel und ungemütlich ist, ein paar Kerzen anzünde und mich mit meinen Karten beschäftige, kommen mir nicht nur die besten Ideen, wie sich das Kartendeck anderweitig auslegen oder ein Tableau erweitern lässt, es fällt mir auch leichter, mich auf meine Fragen zu konzentrieren und die Antworten in den Lenormandkarten zu lesen.

 

Workshops und Kurse, die in diese Herbsttage fallen, sind besonders fruchtbar, da allen Teilnehmer diese Atmosphäre zu spüren scheinen und sich gegenseitig besser unterstützen.

 

Ein paar gemeinsame Legungen bei Kerzenschein und heißen Getränken, geteilte Fragen, Probleme und Erlebnisse, und eine starke Verbindung zur inneren Stimme, zum Unterbewusstsein und zum gemeinsamen Bewusstsein der Welt, all diese Dinge kann man nicht in Gold aufwiegen. Und schon gar nicht in Plastikeimern in Kürbisform, die mit schwarzen und orangefarbenen Bonbons gefüllt werden und keinerlei realen Bezug zu Leben und Sterben haben.

 

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